In Gohlis in der Benedixstraße entsteht mit der „Naturwerkstatt“ gerade die vierte Komplex-Kindertagesstätte des Städtischen Eigenbetriebs Behindertenhilfe (SEB). Wie ist der aktuelle Stand, Herr Böhmer?

Peter Böhmer (P.B.): Vor 14 Monaten haben wir mit dem Abriss des ehemaligen Garagen- und Werkstattkomplexes der Wasserwerke begonnen, inzwischen steht der Baukörper, der Innenausbau läuft auf Hochtouren, der Außenbereich wird bereits gestaltet, wir sind sicher, dass wir zum 01.07.2023 nach gerade mal 20 Monaten Bauzeit in Betrieb gehen werden.

Die Baustelle im April 2022
Richtfest im September 2022

Nicht jeder kann mit dem Begriff „Komplex-Kita“ etwas anfangen, was ist darunter zu verstehen?

P.B.: Bei uns können alle Kinder ihr Kita-Zuhause haben, mit und ohne Behinderung, unabhängig von ihren körperlichen, geistigen oder sozialen Voraussetzungen. Wir betreuen alle Kinder unter einem Dach, fördern so speziell wie nötig und arbeiten so übergreifend wie möglich. Wir haben die Kompetenz und Erfahrung, dass alle Kinder davon profitieren. In Zahlen bedeutet das, dass zu den etwa 200 Kita-Kindern ca. 20 Integrationskinder und 24 Kinder mit heilpädagogischem Förderbedarf gehören. Eltern von gesundheitlich stark eingeschränkten Kindern haben damit die Möglichkeit zu einer gezielten Förderung ihrer Kinder und gleichzeitig die Chance auf eigenes Berufsleben. Wir wissen aber bereits jetzt, dass diese zusätzlichen 24 heilpädagogischen Plätze den Bedarf in Leipzig noch nicht vollständig decken werden.

„Naturwerkstatt“ verrät schon etwas über die Ausrichtung der neuen Kita, warum gerade in so einem eng bebauten Stadtquartier wie Gohlis?

P.B.: Der SEB errichtet und betreibt generell thematische Kitas, sei es nun die Kita „Um die Welt“, die den multikulturellen Ansatz von Grünau aufgreift und als Chance nutzt oder die Kita „Kleine Handwerksmeister“, die in einem altehrwürdigen Gebäude altes Handwerk thematisiert. Das Thema greifen wir in der Gestaltung, in der Ausstattung und vor allem auch im gelebten Konzept der Kita auf. Es wird ein großes Ganzes. Vor ca. drei Jahren stand die Aufgabe, für die geplante Kita in der Benedixstraße eine konzeptionelle Ausrichtung zu finden. Es war ein längerer Diskussionsprozess – am Ende stand als Ziel die Stärkung unserer Kinder in Bezug auf Natur und Umweltbewusstsein. Von Beatrix Zieglmeier als künftiger Kita-Leiterin wurde der Name „Naturwerkstatt“ geboren, der dies gut aufgreift. Das wird der rote Faden sein, den Sie überall in der Kita wiederfinden können.

Nun sieht man von der Straße derzeit einen großen, klobigen Baukörper, der so gar nicht nach „Naturwerkstatt“ aussieht. Wie wird der mit diesem Namen verbundene Anspruch umgesetzt?

P.B.: Das Baufeld ist nicht ganz einfach, wir haben eine schmale Straßenfront von ca. 20 m, das Grundstück weitet sich erst im hinteren Bereich aus. Straßenseitig gehört zum Projekt der Bau von behindertengerechten Wohnungen. Hierfür greifen wir die Bauhöhe der neben- und gegenüberliegenden Bebauung auf. Die eigentliche Kita liegt im hinteren, niedrigeren Teil des Gebäudes. Außen wird es eine Begrünung geben. Als Novum in Leipzig: Die Kita wird das erste Gebäude mit teilweiser wandgebundener Begrünung sein. Hierfür werden die Pflanzen vertikal in der Wand eingepflanzt und mit Wasser und Nährstoffen versorgt. Es wird eine Dachbegrünung, ein Regenrückhaltesystem, eine Photovoltaikanlage mit Energiespeicher und eine Luftwärmepumpe für das gesamte Objekt (bei Temperaturen im Frostbereich unterstützt von einer Gastherme) geben – alles in allem ein Blick in die Zukunft.

Beatrix Zieglmeier (B.Z.): Das Kita-Leben wird sich im Sinne des Konzeptes in weiten Teilen draußen abspielen. Der Außenbereich bietet viel Platz für spielerisches Entdecken und Erleben der Natur. Hängemattenhotel, Hochbeete, Spaliere, Pergolen und Kräuterbeete werden gemeinsam mit den Kindern bepflanzt und gepflegt. Wiesengarten, Kleintiergehege, Kneipp-Bereich, Wasserexperimentiergarten und Sinnesgarten dienen nicht nur der Wissensvermittlung, sondern auch dem Naturerlebnis. Zudem haben wir die verfügbaren Außenflächen geschickt genutzt, um daraus eine altersgerechte anspruchsvolle Spiellandschaft entstehen zu lassen. Wir blicken natürlich auch über unsere Kita-Grenze hinaus. Partnerschaften mit den Vereinen des angrenzenden Budde-Hauses und der gegenüberliegenden Senioren-Residenz sind bereits in Vorbereitung.

Unverbindliche Planungsvisualisierung – begrünte Fassaden

Haben Eltern noch die Möglichkeit ihr Kind anzumelden und wenn ja wie?

B.Z.: Zu allererst, ja, es gibt noch freie Kita-Plätze. Wir freuen uns über ein reges Interesse von vielen Eltern. Seit dem Richtfest im August 2022 reißt das nicht ab. Bereits jetzt sind die Krippenplätze fast vollständig vergeben. Auch die Plätze für Dreijährige in der Kita sind schon gut gebucht. Wir freuen uns aber auch über ältere Geschwisterkinder oder eine wachsende Anzahl von Wechslern aus anderen Kitas, denen unser Konzept gefällt. Das ist für eine sinnvolle Alterspyramide in der Kita wichtig. Eltern und Kita-Platz-Suchende können gern bei uns ihre Fragen loswerden und unser Interessenbekundungsformular nutzen. Die Platzbewerbung erfolgt dann über das Elternportal der Stadt Leipzig – Mein Kitaplatz .

Ganz Deutschland beklagt den Fachkräftemangel, auch Schulen und Kitas in Leipzig. Werden Sie überhaupt die nötigen Fachkräfte gewinnen können?

P.B.: Als SEB haben wir uns insbesondere mit dem Inklusionsansatz in Komplex-Kitas einen Ruf erarbeitet, der fachlich anspruchsvolle und ideenreiche Erzieherinnen und Erzieher sowie Heilerzieherinnen und Heilerzieher anzieht. Zudem bilden wir selbst aus und sind Praxispartner für verschiedene Ausbildungsschulen. Azubi-Stellen brauchen wir gar nicht bewerben, da leben wir von unserem Ruf. Für ein gutes Gelingen ist aber auch eine gute Mischung im Team wichtig, was die Qualifikationen angeht und die Berufserfahrung. Wichtig sind Offenheit für Neues und die Verbindung der unterschiedlichen Erfahrungen zu einem neuen Ganzen. Um einer Frage aus den Bewerbungsgesprächen vorweg zu kommen: Wir beteiligen uns nicht an der philosophischen Diskussion zu offenen oder geschlossenen Kita-Konzepten, die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Es kann nicht darum gehen ein Kind in ein Konzept zu pressen, sondern für jedes Kind einen geeigneten Rahmen für seine Entwicklung zu finden. 

Unsere Stellenausschreibungen haben gerade begonnen und wir freuen uns auf viele Bewerbungen. 

Mit einem Satz hatten Sie vorhin auf den Bau von behindertengerechten Wohnungen verwiesen. Können Sie abschließend noch etwas dazu sagen?

Der Bedarf in Leipzig ist da. Hier im konkreten Projekt in der Benedixstraße stellen die Wohnungen eine sinnvolle Ergänzung im Gebäude dar. Es wird im SEB aber die Ausnahme bleiben. Es entstehen neun Zwei- bis Dreiraumwohnungen, die auf Familien mit einem bewegungseingeschränkten Familienmitglied ausgerichtet sind. Zu den Merkmalen gehören Aufzug, Schiebetüren in der Wohnung, ebenerdige, befahrbare Dusche, Fußbodenheizung und Balkon. Ein weiterer Vorteil: In der Nähe sind eine barrierefreie S-Bahn- und Straßenbahnhaltestelle zu finden. Die Wohnungen werden aber keine Sozialwohnungen sein. Als Eigenbetrieb sind wir in den entsprechenden Förderprogrammen nicht förderfähig. Zum Mietpreis können wir im Februar dann Näheres sagen. Durch die eingesetzte Luftwärmepumpe in Verbindung mit Photovoltaik werden die Nebenkosten auf jeden Fall unterdurchschnittlich sein.